Am Freitag Abend, 4. März, um 8.00 fuhr unser erster Transport ab, an die slowakisch-ukrainische Grenze bei Uzhgorod, mit dem Nötigsten für die Flüchtlinge, das wir entweder von Ihren Spende gekauft haben oder als Sachspenden erhielten. Unser Vorstandsmitglied, Dr. Ralph-Juergen Schoenheinz ist mit Mischa, einem jungen Ukrainer aus der Region, den wir gut kennen, hingefahren. Am Samstag um 15.30 Uhr erhielt ich Nachricht von unserer Partnerin Olga, dass sie wie geplant unsere Leute an der Grenze getroffen hat und bereits einen Teil der Ladung von knapp 9 m³ mitnehmen konnte und nun auf dem Weg ist, den zweiten Teil abzuholen. Die Warteschlangen an der Grenze seien sehr lang und man braucht viel Geduld. Von Ihren Spenden haben wir Lebensmittel eingekauft, Medikamente, Verbandszeug, Windeln und weitere Hygieneartikel, Notstromaggregate und Solar Powerbanks, Batterien für den städtischen LKW und für den Schülerbus, Taschenlampen und Batterien. Wir haben 100 gesammelte Wolldecken und Bettzeug eingepackt, einen Rollstuhl, Krücken und warme Kleidung für die Kinder. Wir haben Süßigkeiten für Kinder und Stofftiere und Spiele mitgenommen, um den traumatisierten Kindern in den Massenunterkünften ein bisschen Ablenkung und Freude zu verschaffen. Es sind Hunderte, die mit oder ohne Mamas eingetroffen sind und in dieser vom Krieg noch verschonten Ecke der Ukraine auf ein Ende der Gewalt hoffen. Vor drei Tagen kam ein ganzer Zug mit Kindern aus den umkämpften Gebieten im Osten. Es ist kalt, und Gas ist unerschwinglich (früher das billige und allgemein übliche Heizmittel), wobei einige große Gebäude immer noch nicht auf Holz umgestellt haben, so das uns lange vertraute Kinderferienlager Barwinok, in dem jetzt Verwundete untergebracht sind. Ebenso in dem früheren großen Krankenhaus am Berg, das der Privatisierungswelle im Gesundheitswesen zum Opfer gefallen ist und leer stand. Alle Schulen und Kindergärten sind geschlossen und beherbergen Flüchtlinge. Viele kommen auch privat unter. Für diejenigen armen Familien, die wir üblicherweise betreuen, bleibt schon fast keine Aufmerksamkeit mehr. Und Corona hört deshalb auch nicht auf, sondern wird durch diese Völkerwanderung sicher erst noch befeuert. Die Menschen dort sind natürlich schockiert und verfolgen auf ihren Handys die Schreckensbilder. Die Empathie mit den Geflüchteten ist groß und viele sind freiwillig zum Helfen unterwegs. "Unsere" Olga koordiniert für Peretschin die humanitäre Hilfe und wird für die richtige Verteilung sorgen. Sie sagt uns punktgenau, was am dringendsten notwendig ist, und wir bemühen uns hier, es von Ihren großzügigen Spenden zu kaufen oder einen Sponsor jeweils dafür zu finden. Für diese Fahrt hat uns Herr Schreiner, unser Vorstandsmitglied, einen Sprinter seiner Firma kostenlos zu Verfügung gestellt. Wir bedanken uns sehr dafür. Wir haben vor, die Hilfe fortzuführen, da die Situation für die Menschen ja nicht besser, sondern immer dramatischer wird. Vielleicht wäre es auch möglich, ein geeignetes Gefährt gesponsert zu bekommen, um frei darüber verfügen zu können. Heute, am 8. März, ich sehe jetzt etwas klarer, wie wir unsere Hilfe für die Flüchtlinge in Peretschin organisieren - und gleichzeitig begrenzen - können. Olga betreut in Peretschin die Flüchtlinge in den Kindergärten und in der Schule -Internat - derzeit 340 in den Kindergärten und 140 im Internat, davon 151 Kinder. Die Infrastruktur incl. Küchen funktioniert. Die Leute haben Matratzenlager mit Decken und Kopfkissen in größeren Räumen. Ein Raum ist als Speisesaal eng gedrängt mit Tischen und Stühlen ausgestattet. Die Leute bekommen dreimal am Tag warm zu essen. Allerdings leeren sich die Regale in den Lebensmittelgeschäften. Die Grenze zur Slowakei ist offen und meistens ohne große Wartezeiten passierbar. So können unsere Leute zum Einkauf von Lebensmittel nach Michailovce in die nächste größere slowakische Stadt fahren. Dies ist für unsere Hilfe sehr günstig. Wir können unseren langjährigen, bewährten, vertrauenswürdigen Partnern aus unseren Spenden das benötigte Geld geben, um die notwenigen Lebensmittel und Hygieneartikel einzukaufen. Das spart uns lange und teure Fahrten. Für die Dinge, die dort nicht zu bekommen sind, wie etwa spezielle Medikamente usw. warten wir auf spezielle Anforderungen. Dann kann jemand von uns hinfahren und zusammen mit dem unbedingt Nötigen gespendete Sachen, Decken, warme Kleidung usw., mitnehmen, die dann je nach Bedarf bei unseren Leuten bleiben oder weiter verteilt werden. Auch besteht dann immer die Möglichkeit, extra für die Kinder etwas mitzubringen, was ihnen über die schwere Zeit hilft. Die Zahl der Flüchtlinge wächst allerdings unaufhaltsam weiter. Erst heute kam wieder ein voller Zug aus Kiew an und Peretschin haben sich mit den Schulbussen seinen Anteil abgeholt. Derzeit ist der Wunsch auszureisen nicht sehr groß. Die meisten hoffen, den Krieg hier im - noch - ruhigen Westen des Landes aussitzen zu können. Wir sind auch der Meinung, dass die Hilfe sich immer an den Bedürfnissen der Menschen orientieren soll. Viele der Geflüchteten sprechen keine weitere Sprache, haben keine Angehörigen oder Kontakte ins Ausland – verständlich, wenn sie nicht in ein fremdes Land fliehen wollen. Aber natürlich gibt es auch Fragen nach den Möglichkeiten einer Ausreise. 8.3.2022/Iris Trübswetter
nächster Termin im September:
Montag, 16.9.2024, 19 Uhr
Thomas Wiedling: Krieg nach innen - Die Zerstörung des lebendigen Literaturaustausches mit Russland
Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Putin auch die Welt der Literaturvermittlung buchstäblich über Nacht zerbombt. Was mit großer Hoffnung, Elan und basierend auf dem Glauben an einen freien und friedlichen weltweiten Austausch von Kulturnationen seit den 1990er Jahren aufgebaut worden war, ist in den Grundfesten erschüttert und auf lange Sicht zerrüttet. Esd wird sich auch nach Putin nicht einfach wieder "anschalten" lassen. Denn Putin führt auch einen Krieg nach innen, der alle erarbeiteten und gewachsenen Strukturen beschädigt, wenn nicht zerstört hat, die ein lebendiger, liberaler, freier Literaturaustausch braucht. Dadurch haben nicht nur geschäftliche Kontakte, Netzwerke, Institutionen gelitten, sondern auch menschliche Beziehungen und Freundschaften. Ganze Lebensläufe nehmen gezwungenermaßen eine andere Richtung.
Thomas Wiedling hat sich seit seinem Slavistik-Studium in München, Freiburg und Moskau (fast) ganz der Vermittlung russischer Literatur verschrieben. Zuerst als literarischer Übersetzer von Autoren wie Sorokin, Bartov, Likhachev, Marinina oder verschiedenen Lyrikern. Seit den letzten 25 Jahren als Literaturagent. Er hat u.a. Glukhovsky für die Leser außerhalb Russlands entdeckt und vertritt heute russisch schreibende Autoren aus Russland, der Ukraine, Belarus oder im Exil wie Shishkin, Khodorkovsky und andere. Daneben auch die Erben von Ilf-Petrov, Bunin oder Pasternak.
Mit Nationalismus und Neoliberalismus Russland trotzen.
Estland hat sich nach der sowjetischen Besatzung schnell zu einem souveränen Staat emanzipiert und sich wieder dem Westen zugewendet. Ein starkes Nationalbewusstsein und neoliberales Erfolgsdenken bestimmen den Zeitgeist. Die starke Abgrenzung vom ehemaligen russischen Besatzer zeigt sich in der Vernichtung von Sowjet-Denkmälern und der Schließung russischer Schulen. Bis heute sind in Estland allerdings ein Drittel der Menschen russischsprachig. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine fühlen sich viele als Putins Sündenbock. An der Türschwelle Europas mit einem Kriegstreiber als Nachbarn scheint Estland mehr gespalten denn je.
Hannah Krug, geboren 1992 in der Nähe von Köln, hat in Potsdam Medienwissenschaft und Kulturwissenschaft studiert. Ihre Ausbildung zur Journalistin absolvierte sie beim Bayerischen Rundfunk in München und beim Weser Kurier in Bremen. Sie lebt in Basel und arbeitet dort beim Schweizer Rundfunk und Fernsehen als Multimedia-Redakteurin. Mit Unterstützung eines Stipendiums hat sie zwei Monate in Tallinn gelebt und von dort für unterschiedliche deutsche Medien geschrieben. Seit einigen Jahren bereist sie die Länder Osteuropas. Über die Geschichte des ehemaligen „Ostblocks“ hat sie in der Schule kaum etwas gelernt. Umso grösser ist jetzt die Faszination für die Pluralität dieser Länder, die in einer „westlichen“ Wahrnehmung oftmals verdeckt wird.